Bio verdrängt Bio

Pionierinnen der »Bioase44«

Vorreiter seit 2013.       Foto: pr

Bis zur Katastrophe von Tschernobyl 1986 gab es eine Nische für Reformhäuser. Hier fanden sich Kunden ein, die gesunde Lebensmittel kaufen wollten. Dort erhielten sie nicht nur hochwertige Nahrungsmittel, sondern auch hervorragende Fachberatung. In anderen Läden erhielt der Kunde die Reformhausartikel wie Grünkern, besondere Heiltees, spezielle Säfte und Kindernahrung nicht. Tschernobyl war dann die Geburtsstunde der Bioläden. In diesen Zeiten suchten Mütter verzweifelt nach nicht belasteter Milch und Milchprodukten. Der Markt reagierte: Schnell wurden regionale Lebensmittel, die eine geringe oder gar keine Radioaktivität aufwiesen, von ernährungsbewussten Kunden, insbesondere von Müttern, nachgefragt.
Ein enges Netz von Bio­läden hat sich seither entwickelt. Die Karl-Marx-Straße wurde von dieser Entwicklung jedoch nicht berührt. Zusehends wurde die ehemals sehr schöne Einkaufsstraße zu einer Billigmeile. Bis zu dem Tag im Jahr 2013, als Nadia Massi und Elke Dornbach beschlossen: »Die Zeit ist reif für einen Bio­laden in der Karl-Marx-Straße«. Mit einem Mitgliedschaftssystem der Kunden konnten sie den Start schaffen.
Über die Jahre hat sich eine Stammkundschaft in der »Bioase44« eingefunden, die nicht nur bio und regional einkaufen will, sondern auch die Atmosphäre im Geschäft der beiden Frauen liebt. Die Fachberatung ist bis heute ihre Stärke. Über jedes Produkt geben sie Auskunft, auch über Produkte, die sie nicht mehr führen wollen, weil deren Hersteller beispielsweise von einem Konzern wie »Nestlé« aufgekauft wurden. Sie gehören tatsächlich zu den Neuköllner Bio-Pionieren, die den Anspruch haben, nicht nur bio zu verkaufen, sondern auch ein gutes Betriebsklima zu schaffen, die Mitarbeiter ordentlich zu bezahlen und sich im Kiez sozial zu engagieren. Die Kundschaft kommt folglich aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen
Wie bei anderen Geschäften gab es auch in der »Bioase44« Rückschläge. Angefangen hat es mit der Baustelle in der Karl-Marx-Straße. Fünf Jahre insgesamt musste sie täglich ums Überleben kämpfen. Vor etwa einem halben Jahr ist die Baustelle dann in einen neuen Abschnitt gezogen. Die »Bioase44« atmete auf. Die Geschäfte liefen wieder gut, der Laden ist nun wieder gut erreichbar, Laufkundschaft interessiert sich für das Biokonzept.
Alles war gut, bis zum 27. Juni 2019, als die »Bio Company« nur 170 Meter, zwei Minuten Laufstrecke von der »Bioase44« entfernt, mit etwa 1.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ihre Pforten öffnete. Es ist die größte Filiale in Berlin.Mit einem Schlag mussten Massi und Dornbach dramatische Umsatzeinbußen hinnehmen.
Die »Bio Company«, die allein in Berlin 45 Filialen betreibt, kann es sich leisten, mit Lock­angeboten zu werben. Richtig ist auch, dass sie »Unverpackt«-Stationen für etwa 90 Artikel anbietet und ein ordentliches Bioweinsortiment zusammengestellt hat. Für den Kunden ist praktisch, dass er alles in einem Geschäft kaufen kann. Dennoch: Die, die die Pionierarbeit geleistet haben, werden nun abgestraft. Und auch das ist die »Bio Company«: Überall, wo es eine hohe Dichte an unterschiedlichen Bioläden gibt, setzt sich die »Bio Company« gerne dazwischen.
An dieser Stelle ist der Kunde gefragt, denn nur er kann entscheiden, wo er einkauft und welches Konzept er mit seiner Kaufentscheidung unterstützt.

ro